Forscher in Zypern haben ein bislang unbekanntes Porträt entdeckt, das sich über Jahrhunderte unter einem Renaissance-Gemälde von Tizian aus dem Jahr 1570 verborgen hielt. Der Fund wurde gemacht, als das Kunstwerk für eine Restaurierung vorbereitet wurde. Bei der Untersuchung unter dem Mikroskop erkannten Experten durch die feinen Risse in der Farbschicht – die sogenannte Craquelure – abweichende Pigmente, die auf ein darunterliegendes Bild hindeuteten.

Das neu entdeckte Werk zeigt einen unbekannten Mann mit dünnem Schnurrbart, eine Feder in der Hand haltend, neben einem Stapel von Papieren oder Büchern stehend. Dieses Motiv bildet einen starken Kontrast zu der religiösen Szene, die Tizian später darüber malte: Ecce Homo, die Darstellung Jesu mit der Dornenkrone.

Das gefundene Porträt wird derzeit in Limassol, Zypern, ausgestellt und ist Teil einer Ausstellung, die bis zum 10. März läuft. Besucher können sowohl Tizians Originalgemälde als auch eine Rekonstruktion des verborgenen Porträts sehen.

Professor Nikolas Bakirtzis vom Cyprus Institute (CyI), der das Forschungsteam leitete, beschrieb die Entdeckung als eine Art Puzzle, das nach Jahrhunderten gelöst wurde. „Das Gemälde birgt ein Geheimnis – und dieses Geheimnis war bis jetzt völlig unbekannt“, sagte Bakirtzis laut Reuters.

Das endgültige Werk, Ecce Homo, zeigt Jesus Christus neben Pontius Pilatus, dem römischen Statthalter, der das Verfahren gegen Jesus leitete, bevor dieser gekreuzigt wurde.

Die Experten des Andreas Pittas Art Characterization Laboratory (APAC) setzten modernste Bildgebungs- und Analyseverfahren ein, um das verborgene Porträt sichtbar zu machen. Basierend auf den Röntgenaufnahmen rekonstruierten sie anschließend das ursprüngliche Bild als Ölgemälde.

Bakirtzis geht davon aus, dass Tizian Elemente des früheren Porträts in Ecce Homo integrierte. So könnte beispielsweise die Kieferpartie des Mannes als Vorlage für die Seile gedient haben, mit denen Jesu Hände gefesselt sind. „Dies zeigt die Hand eines selbstbewussten Künstlers – des Meisters, des Leiters der Werkstatt, Tizian selbst. Deshalb ist die Ecce Homo-Version das Werk, das Tizians künstlerische Handschrift am besten bewahrt“, erklärte Bakirtzis.