Wenn die Sonne über der Church Street in Bengaluru aufgeht, präsentiert sich die belebte Ausgehmeile in einem völlig neuen Licht. Die grellen Neonlichter der Nacht sind erloschen, die Bars haben geschlossen, und statt dem Klirren von Gläsern ist das Klicken von Kameraverschlüssen zu hören. Besonders an Wochenenden verwandelt sich die Straße gegen 6 Uhr morgens in eine Bühne für professionelle Fotoshootings: Fotograf:innen positionieren ihre Stative, Paare posieren in abgestimmten Outfits, Visagist:innen bessern eilig das Make-up nach.
Während sich die Straße am Abend vor Menschen kaum retten kann, ist sie am frühen Morgen ruhig und beinahe leer. Alle 50 bis 100 Meter findet ein anderes Shooting statt – jedes mit eigener Geschwindigkeit, eigenem Stil.
Die beliebte Straße im Zentrum von Bengaluru, bekannt für Cafés und Bars, hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Hotspot für professionelle Fotografie entwickelt. Ob Pre-Wedding-Shootings, Modekampagnen, Markenauftritte oder persönliche Portfolios – die gepflasterten Gehwege und bunt besprühten Wände von Church Street bieten eine urbane Kulisse, die vielen Einheimischen sofort vertraut ist. In sozialen Medien wird der Ort oft auch ohne Standortmarkierung erkannt.
Regelwirrwarr in öffentlichen Räumen
Dass sich der Trend zur Church Street entwickelt hat, war nicht unbedingt geplant. Vielmehr ist er das Resultat aus praktischen Gründen: einfache Zugänglichkeit, Kosteneffizienz und visuelle Vielfalt – Aspekte, die anderswo in der Stadt immer schwerer zu finden sind.
Denn in Bengaluru wird professionelle Fotografie in öffentlichen Parks zunehmend eingeschränkt. Cubbon Park und Lalbagh, einst beliebte Orte für Shootings, sind seit 2018 durch ein Verbot des Ministeriums für Gartenbau nicht mehr zugänglich.
Fotograf:innen berichten, dass sich die Lage in anderen malerischen Gegenden wie Nandi Hills oder dem Ulsoor-See ebenfalls verschlechtert hat. Die Genehmigungsprozesse in staatlich verwalteten Parks sind undurchsichtig geworden – Genehmigungen werden häufig ohne Begründung abgelehnt.
„Der Zugang zu solchen Orten ist inzwischen ein Albtraum“, sagt der freie Fotograf Santosh Narendra.
„Einmal verlangte das Gartenbauamt von mir 50.000 Rupien für ein eintägiges Shooting mit klassischem Tanz im Lalbagh“, berichtet er. „Sie sagten, ich könne die Genehmigung bekommen, überreichten mir aber nur einen kleinen weißen Zettel mit der Forderung. Es hängt ganz davon ab, wen man kennt. Die Summe kann völlig willkürlich sein. Es kommt darauf an, welchen Abgeordneten man anruft.“ Santosh ist seit über zehn Jahren als Fotograf tätig und arbeitet häufig mit Modelabels und Cafés zusammen.
Angesichts solcher Hindernisse ist es für viele kaum noch machbar, für ein Sonnenaufgangsbild 60 Kilometer zu den Nandi Hills zu fahren – vor allem nicht für Paare, die gleichzeitig arbeiten und eine Hochzeit planen.
Warum Church Street zur ersten Wahl wurde
Church Street bietet im Gegensatz zu historischen Anlagen eine unkomplizierte Alternative. „Nach dem Fotografie-Verbot in den Parks haben wir nach urbanen Locations gesucht, die zugänglich sind“, erklärt Karthik Murulidharan, 26 Jahre alt, der seit sechs Jahren das Fotostudio seines Vaters, GK Vale, in Malleshwaram betreibt.
„Auf der Church Street muss man keine Gebühren zahlen. Und optisch gibt sie uns alle Freiheiten. Die Architektur, die Farben, der Straßenverlauf – alles harmoniert perfekt“, fügt er hinzu.
So ist Church Street inzwischen nicht nur eine beliebte Ausgehmeile, sondern auch ein stilles Zentrum der Kreativität in den frühen Morgenstunden geworden – ein Ort, an dem sich Mode, Liebe und städtische Ästhetik in Bildern verewigen lassen.